SIBYLLE-RIED-PREIS

Sibylle_Ried-Preisträger 2011
Sibylle-Ried-Preisträger 2011
(v. li.) Silke Kirschning, Gerd Heinen,
und Mechthild Katzorke

SIBYLLE-RIED-PREIS – Preisträger:innen 2011

Der SIBYLLE-RIED-PREIS 2011 wurde verliehen an

Mechthild Katzorke und Volker Schöwerling

für ihr Filmwerk zum Thema "Epilepsie", insbesondere die DVD "Epilepsie leben – Epilepsie verstehen"

und

Gerd Heinen und Silke Kirschning

für die Hörbuchfassung des Buches „Bei Tim wird alles anders“ und den Roman "Zurück vom Mars"

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Preisträgerinnen und Preisträger,

Nun ist Sibylle Ried schon fast elf Jahre tot; sie starb mit nur 43 Jahren am 14. Juni 2000 in Innsbruck, und wir vergeben den nach ihr benannten Preis heute bereits zum sechsten mal. Auch im Namen der anderen Mitglieder des Preisrichterkollegiums, Gisela Schüler aus Berlin sowie – mit beratender Stimme – Dr. Matthias Ried als Vertreter der Familie Ried, möchten wir Ihnen die Preisträger und ihre Arbeiten kurz vorstellen.

In diesem Jahr wird der Preis an zwei Empfänger aufgeteilt, genauer gesagt geht er an zwei Ehepaare, die schon seit vielen Jahren mit großem Engagement im Epilepsiebereich arbeiten. Es sind dies die Filmemacher Mechthild Katzorke und Volker Schöwerling sowie der psychologische Psychotherapeut und Epilepsiepädagoge Gerd Heinen und die Soziologin Dr. Silke Kirschning, allesamt aus Berlin wo auch Frau Ried bis 1995 viele Jahre tätig gewesen war. An beide Gruppen geht der Preis nicht nur für die 2010 eingereichte Arbeit, sondern auch für frühere Arbeiten, deren Entstehung die Jury über die Jahre mit Freude beobachtet hat.

Zunächst zu den Filmen von Mechthild Katzorke und Volker Schöwerling: Es fing vor gut 10 Jahren (2000) mit „Ansonsten ist sie kerngesund“ an, einer Schilderung von vier Lebenssituationen mit Epilepsie, der später (2006) unter dem Titel „Akzeptieren, dass es dazugehört“ eine Langzeitdokumentation mit den gleichen Personen folgte. Aus dem Jahr 2003 stammt „Bis zum Umfallen“, ein Film, der bei seinem Erscheinen im Bereich der Epilepsie-Informationsfilme wie ein Paukenschlag wirkte, weil er die wesentlichen Probleme Jugendlicher und junger Erwachsener mit Epilepsie in unserer Gesellschaft erfasst. Er ist heute noch genauso aktuell wie vor acht Jahren. In ihm wurde die Grundtechnik entwickelt, die auch in späteren Filmen zur Anwendung kam: Mehreren von Epilepsie Betroffenen werden die jeweils gleichen Fragen gestellt, wodurch ganz unterschiedliche Perspektiven und Situationen sichtbar gemacht werden können. Darüber hinaus gibt es jeweils eine Version für professionelle Helfer und eine für Betroffene, d.h. die Zielgruppen für die Filme wurden genau definiert, was die Wirksamkeit des Filmes erhöhte.

Es folgte 2004 „Auf dem Weg durch die Mitte des Lebens - Erfahrungsberichte von Frauen mit Epilepsie“, wieder in einer Version für Betroffene und einer Version zur Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten. Erneut gelang eine sehr ansprechende und didaktisch wirksame Verbindung der Darstellung der Lebenssituation von Frauen mit Epilepsie in unserer Gesellschaft und der Vermittlung aktuellen medizinischen Wissens zur Optimierung der Behandlung und Beratung. 2007 wurde das Thema Epilepsie im höheren Lebensalter aufgegriffen, in dem erneut didaktisch geschickt Betroffene zu Fragen wie persönlichen Einschränkungen oder sozialer Akzeptanz beim ersten Auftreten einer Epilepsie im höheren Lebensalter Auskunft geben.

Schließlich erschien dann im letzten Jahr „Epilepsie leben – Epilepsie verstehen“, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie. Ein Film über die Erfahrungen von acht Betroffenen, die alle darauf hinauslaufen, dass ein Leben mit Epilepsie zwar schwierig ist, man es aber doch schaffen kann, ein zufriedenes Leben zu führen oder zufrieden auf sein Leben zurückzublicken, unabhängig davon, ob man Epilepsie hat und ein Kind, ein junger Erwachsener, eine Erwachsene im arbeitsfähigen Alter oder ein älterer Mensch nach der Pensionierung ist. Zusätzlich findet sich auf dieser DVD ein ganzes Bündel kurzer Informationsfilme zu Fragen der Diagnose, der Behandlungsmöglichkeiten und des Verlaufs von Epilepsien, aber auch zu den relevanten psychosozialen Problemen wie Führerschein, Arbeit, Schwangerschaft und die für die Mütter und Kinder mit Epilepsie verbundenen Risiken. Nicht unerwähnt bleiben dürfen auch die Filmdokumentationen der Beiden zu den jährlich in Gargnano stattfindenden Praxisseminaren der Stiftung Michael. Sie zeigen das herausragende Können der Teams Katzorke/Schöwerling, wissenschaftliche Informationen ansprechend und äußerst klar mit dem Medium Film zu vermitteln. Es ist deshalb sehr bedauerlich, dass diese Filme nur wenig zur epileptologischen Fortbildung genutzt werden.

Abschließend soll noch ein besonderes Charakteristikum der Filme von Mechthild Katzorke und Volker Schöwerling hervorgehoben werden: Die in diesen Filmen gezeigten Personen mit Epilepsie werden immer so gezeigt, dass deutlich wird, dass sie nicht anders als Menschen ohne Epilepsie empfinden und soziale Situationen bewerten. Dies erlaubt dem Zuschauer, sich in ihre Situation hineinzuversetzen. Gar nicht selten werden die Menschen mit Epilepsie so zu Sympathieträgern. Insofern leisten die Filme des Teams Katzorke/Schöwerling einen großen Beitrag zum Abbau von stigmatisierendem Verhalten gegenüber Menschen mit Epilepsie.

 

Nun zum Duo Dr. Silke Kirschning und Gerd Heinen: Der Preis an sie wird primär für die Hörbuchfassung des Buches „Bei Tim wird alles anders“ verliehen. Dieser in Buchform erstmals 1996 erschienene Text erzählt die Geschichte des neunjährigen Tim, der mit seinen Eltern aus dem kleinen Ort Heimelskirchen nach Berlin zieht. Dort bekommt er dann auch noch eine Krankheit, die einen Namen hat, den er sich einfach nicht merken kann – nämlich Epilepsie. Jetzt ist plötzlich nichts mehr so, wie es vorher war. Tim erzählt, was er in dieser Zeit, als alles anders wurde, an traurigen, schönen und lustigen Dingen erlebt hat. Tim als Held dieser Geschichte ist eine positive Identifikationsfigur, die vermittelt, dass sich Menschen mit einer Epilepsie grundsätzlich nicht von anderen unterscheiden, sondern lediglich eine in der Regel gut behandelbare chronische neurologische Krankheit haben sind. Die Art und Weise, wie Tim mit seiner Krankheit umgeht, ist in gewisser Hinsicht eine positive Utopie. Er erlebt die Sorge seiner Eltern, die Ängste seiner Lehrerin, die Reaktionen der Ärzte, lässt sich dadurch aber nicht verunsichern. Durch seinen Mut und sein ungebrochenes Selbstbewusstsein gelingt ihm eine aktive Krankheitsbewältigung. Kindern mit und ohne Epilepsie wird in einer sehr gekonnten Weise nahegebracht, was Epilepsie ist, und zugleich eine emotionale Nähe zu dem von Epilepsie betroffenen Tim hergestellt.

Für die jetzt prämierte Hörbuchfassung wurden zusätzlich zum Hörbuch didaktische Materialien für Eltern, Lehrer und für Schulkinder ohne Epilepsie entwickelt, so dass es sich insgesamt um ein Informationskonzept bestehend aus dem Kinderbuch, einer Hör-CD sowie zwei Broschüren als Arbeitsmaterial für Kinder zwischen 7 und 12 Jahren und für Lehrer und Eltern handelt. Dieses Angebot ist nach Meinung der Jury aber auch bestens für Kinder mit Epilepsie geeignet. Denn dieser Tim, der erstaunlich unabhängig aus seiner Warte die Welt beurteilt, ist bestechend mit seinem Selbstbewusstsein und seiner Fähigkeit, sich selbständig ein Bild über die Personen in seiner Umgebung, einschließlich seiner Eltern, zu machen.

Gerd Heinen erhält den Preis auch für seinen 2009 erschienenen Jugendroman „Zurück vom Mars“. Darin geht es um einen 17jährigen Gymnasiasten aus reichem Elternhaus, der in seiner persönlichen und sexuellen Entwicklung dargestellt wird. Gleichzeitig kündigt sich eine Epilepsie bei ihm durch das Auftreten von Auren an, die er als solche noch nicht erkennt. Er ist ein wenig Außenseiter, weil im Mittelpunkt seines Lebens ausschließlich sein Klavierspiel steht, in dem er meisterhaft ist. Aber er erfährt deswegen auch große Anerkennung von seinen Mitschülern und es gibt sehr „coole“ Mädchen, denen er gefällt. Das Buch ist spannend und kraftvoll und für junge Leute mit und ohne Epilepsie geeignet. Die literarischen Qualitäten sind besonders dort stark, wo es um „Action“ geht. Gerd Heinen begegnet als psychologischer Psychotherapeut in seiner Praxis täglich jungen Menschen mit Epilepsie und ihren mit der Krankheit verbundenen Problemen. Dabei ergibt sich häufig auch die Frage der Sexualität in Bezug auf Anfallsablauf und Medikamente, Ängste und Stresssituationen. Somit war naheliegend, dass Gerd Heinen das Thema aufgriff und in Romanform bearbeitete.

 

Abschließend soll nicht unerwähnt bleiben, dass alle Preisträger Frau Ried noch kennen und schätzen gelernt haben. Allen vier Preisträgern herzlicher Glückwunsch.

Günter Krämer und Rupprecht Thorbecke

STIFTUNG MICHAEL

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